Christina C. Messner

„Ich bin ein Bild in Stein
Seikilos stellte mich hier auf –
wo ich auf ewig bleibe
als Symbol zeitloser Erinnerung“
(Seikilos Epitaph)

Was bleibt vom antiken Mythos?
Was bleibt von antiken Musikideen, Musikpraktiken?
Was gilt heute noch?
Wie lässt es sich mit Zeitgenössischem verbinden?

Interdisziplinäres Arbeiten, Grenzaufhebung zwischen einzelnen Kunstsparten, Annäherung von Ton, Wort und Bild – diese Schlagworte sind aus der aktuell komponierten Neuen Musik nicht wegzudenken.
Eine Reflexion über antikes Kunstverständnis zeigt: Der Begriff „mousiké“ hatte im antiken Griechenland eine viel umfassendere Bedeutung, als unser heutiger Begriff „Musik“: Die Kunst – von den Musen verliehen – wurde als absolute Einheit von Wort, Ton und Bewegung verstanden. Der ausübende Künstler war Dichter und Sänger in einem und begleitete sich selbst mit Instrument und (Tanz)-Bewegungen.

Man könnte den Eindruck gewinnen, es geht schon seit einiger Zeit – erweitert mit unseren technischen und medialen Möglichkeiten – zurück an die Ursprünge, weg von der Zersplitterung der Kunst in kleinste hochspezialisierte Einzelbereiche, zurück zum grossen Ganzen, zu einer Einheit, die eine ihr eigene Kraft besitzen mag.

In diesem besonderen Projekt, in dem sich Tänzerin und Schauspieler begegnen, in dem es vornehmlich um die Kommunikation zwei unterschiedlicher „Sprachformen“ geht – um die Kommunikation von Bewegung und Klang – liegt eine Annäherung an altgriechische musikalische Ideen besonders nah. Hier beginnt meine musikalische Recherche für das Stück.

Antike Ansätze, Lehren und Motive werden unter anderem die Musik für unsere aktuell erzählte Dafne-Geschichte prägen. Sehr Altes begegnet aktuell Strukturiertem, wird weiterentwickelt, geht durch Verwandlungen, wird hologrammartig auftauchen, leise durchschimmern, deutlich erkennbar sein, wieder verschwinden.

Eine Auseinandersetzung mit dem, was aktuell Musik- und Tanztheater bedeuten kann, geht damit einher. Wie können die beiden Kunstformen sich optimal ergänzen, zu einer Einheit finden und dennoch in ihrer Individualität bestehen bleiben? Wie „klingt“ Musik, die nur visuell wahrnehmbar ist? Wie „bewegt“ sich der Klang?

In intensiven kollektiven try-out Phasen von Komponistin, Tänzerin und Regisseurin wurden Kommunikationsmöglichkeiten ergründet, erprobt, mitunter verworfen, wiederentdeckt und letztlich gefunden. Hierarchien und das klassische Nacheinander von Libretto-Komposition-Regie wurden aufgeweicht. Ein durchweg enger Austausch und eine enge Verzahnung beim Entwickeln zum einen der Komposition, zum anderen der Choreographie und der Regie prägten die Zusammenarbeit und durchzieht weiterhin Proben und Reflexion derselben.

Die Instrumentalisten sind letztlich mehr als „nur“ ein musikalisches Ensemble. Auf der Bühne sichtbar eingesetzt, sind sie, wie der Chor im antiken Drama, Begleiter, Kommentator, Teil der Szene. Umgekehrt sind Tänzerin und Schauspieler, bei allem, was sie tun, letztlich auch „Musiker“.

Anna Magdalena Beetz

Wie immer in großen Geschichten kann die Hauptfigur, hier Dafne, jede Frau sein. Nicht aus einer beliebigen Laune heraus, sondern, da der Kern ihrer Geschichte vielen begegnet. In unserem Stück stellen wir der griechischen Daphne die maltesische Dafne zur Seite. Beide Figuren kämpfen für ihre Freiheit, ihre Stimme. Die maltesische Dafne erhebt ihre Stimme, um eine große Ungerechtigkeit anzuprangern; die griechische Dafne ihrerseits sucht in der Metamorphose ihre Rettung.

Ob wir das Stück in Bezug zur #Metoo-Bewegung sehen? – Ja!

Das bleibt nicht aus, doch wir stellen es nicht in den Vordergrund. Mit den beiden gewählten Figuren, der griechischen und der maltesischen Dafne, spannen wir einen Bogen. Vom Persönlichen – zum Politischen – zum Verkraftbaren. Es gibt viele Dafnen – in verschiedenen, persönlich individuellen Geschichten. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie werden übermannt, eingeholt.

Hier kommt Apoll ins Spiel.

Wir sehen ihn schillernd; auch rebellierend gegen den eigenen Vater: Hier seine Sehnsucht zu den Menschen, dort die Sehnsucht, den Vater zu stürzen. Zwei sehr unterschiedliche Ansätze in einer Figur.

Die Vielschichtigkeit der Begegnung von Dafne und Apoll zeigt unterschiedliche Welten. Zum einen die Frau-Mann-Begegnung, in der ein Nein nicht akzeptiert wird. Zum anderen das Erheben ihrer Stimme für die Überzeugungen und ihr Nein zum Schweigen. In beiden Fällen wird sie übermannt und ihres Seins beraubt. In der Mythologie wird sie zum Baum, das heißt: sie sucht eine neue Lebensform.

Im wirklichen Leben sieht es ähnlich aus. Nach einem Übergriff braucht die Überlebende Zeit, um sich zu finden. Die Welt ist ihr abhandengekommen. Sie kennt sich nicht mehr aus. Sie hat Schmerzen.

Hier liegt in unserer Arbeit ein großes Augenmerk. Zu zeigen, was es heißt, sich zu verwandeln. Was es heißt zu überleben, wieder teilzunehmen am Leben, das ohne Frage nun anders aussieht. Dafne wird sich ihr Baumsein erarbeiten müssen.

Dagegen Apoll: Was macht es mit ihm? Hat er überhaupt verstanden, was für Auswirkungen sein Übergriff hat? Wie sehr ist er in sich selbst verstrickt? Wie blind macht ihn seine Weltsicht?

Unsere Bühne besteht aus drei Bühnen.
Eine Bühne für Dafne, eine Bühne für Apoll und eine Bühne für die Gesellschaft (hier bei uns die Musiker).

Die Gesellschaft spielt in diesen Übergriffen eine große Rolle.

Ist sie eine Hilfe?
Wem schenkt sie die Aufmerksamkeit?
Was möchte sie hören?
Was vertuschen?

Dafne – ihr Kampf zurück ins Leben.

Reporter ohne Grenzen über den Mordprozess Daphne Caruana Galizia

Am 16. Oktober 2020 ist es genau drei Jahre her, dass die maltesische Investigativjournalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia bei einem Attentat durch eine Autobombe auf Malta getötet wurde.


Daphne Caruana Galizia wurde ermordet, weil sie in ihren Artikeln immer wieder über Korruption in Regierung und Wirtschaft berichtete und auf Missstände im Urlaubsparadies Malta aufmerksam machte. Immer wieder wurden sie und ihre Familie bedroht und belästigt, sie wurde als „Nestbeschmutzerin“ beschimpft, doch die 53-jährige ließ sich nicht einschüchtern, recherchierte und veröffentlichte weiter. Zuletzt zwei Wochen vor ihrer Ermordung hatte Caruana Galizia wegen Todesdrohungen Anzeige erstattet. Ungeachtet dessen wurde sie nicht geschützt.

Caruana Galizias Blog Running Commentary hatte zeitweise bis zu 400.000 Leser – fast so viele, wie Malta Einwohner hat. Nach der Veröffentlichung der Panama Papers recherchierte sie die Beteiligung von maltesischen Regierungsmitgliedern hinauf bis zum Umfeld des damaligen Regierungschefs Joseph Muscat an Steuerhinterziehung und Korruption.

Die drei Männer, die beschuldigt werden, den Mord ausgeführt zu haben – Alfred Degiorgio, George Degiorgio und Vincent Muscat – sind seit Dezember 2017 inhaftiert, wurden jedoch noch immer nicht vor Gericht gestellt. Der geständige Mittelsmann und Hauptzeuge Melvin Theuma wurde im Juli mit schweren Verletzungen, darunter einer aufgeschlitzten Kehle, ins Krankenhaus eingeliefert. Es soll sich hierbei um Selbstverletzungen gehandelt haben. Gegen den mutmaßlichen Auftraggeber Yorgen Fenech werden noch immer Beweise gesammelt. Seine Verteidiger argumentieren, dass er kein faires Verfahren erhalten wird, und behaupten, dass die „echten Drahtzieher“ noch immer frei sind. Die Hintergründe sind ungeklärt. Der oder die Auftraggeber wurden bis heute nicht eindeutig überführt.

Besorgniserregend sind die Verleumdungsprozesse, die noch immer von ehemaligen hochrangigen Regierungsvertretern posthum gegen Daphne Caruana Galizia geführt werden.

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